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Troy - Troja (Hollywood versus Homer)

  1.520 Wörter 5 Minuten 988 × gelesen
2017-01-28 2017-01-28 28.01.2017

Allen Literaturhistorikern, Altphilologen und Archäologen, allen im Geiste der Klassik Ausgebildeten, allen humanistisch nicht mehr ganz so beschlagenen, aber dennoch wissensbegierigen Vertreterinnen und Vertretern der jüngeren Generation, allen Verehrerinnen und Verehrern der olympischen Gottheiten und allen Fans der griechischen Mythologie sei vorausgeschickt: Nein, dieser Film ist nicht für Euch gemacht. Wofgang Petersens ("Das Boot") vermeintliche Homer-Adaption wird gerade diesem Attribut nicht gerecht. Das fast dreistündige Leinwandspektakel eignet sich weder dafür, Eure eventuell vorhandenen Literatur- und Geschichtskenntnisse zu bestätigen oder aufzufrischen, noch vermag es, Eure vom Bildungssystem aufgerissenen Wissenslücken zu schließen.
Bevor Ihr Euch also auf den Weg ins Kino macht, sollte jedem und jeder Einzelnen klar sein, dass dieser Film meilenweit davon entfernt ist, eine Literaturverfilmung von Homers "Ilias" zu sein. Mit ein wenig Wohlwollen kann man darin allenfalls die millionenschwere, auf ein illustres Starensemble gestützte Bemühung eines deutschen Hollywood-Regisseurs erkennen, den antiken Stoff rund um die Vorgänge der "Mutter aller Schlachten", wie der Trojanische Krieg bezeichnet wird, für ein möglichst breites Publikum unterhaltsam aufzubereiten. Dies geben die Verantwortlichen aus der Chefetage des Warner-Brothers-Studios und des künstlerischen Stabes schließlich auch unumwunden zu: "Wenn man einen unterhaltsamen 150 Minuten-Film drehen will, darf der Umgang mit der Historie ruhig etwas salopper sein", meint der Regisseur. Dennoch können sich die heutigen Mythenproduzenten à la Hollywood nicht nach Gutdünken des Ballastes der abendländischen Kulturerbes entledigen. Zumal sie sich ja durchaus mit dessen Aura umgeben und diese in ihre Marketingstrategie bewusst eingebaut haben. Und auch wenn vorauseilend ausdrücklich darauf verwiesen wird, dass der Film keineswegs auf Homers Tragödie basiert, sondern lediglich von ihr inspiriert worden ist, so ist doch zu fragen, ob nicht schon die Inspiration durch den Urstoff der klassischen Literatur schlechthin zu einem verantwortungsvolleren, sprich: treueren Umgang damit verpflichtet.
Bevor ich mich also mit der durch und durch prosaischen Frage befasse, ob der Film als Film anno 2004 zu überzeugen, oder besser gesagt: zu unterhalten vermag, seien mir doch noch einige Reflexionen über das Verhältnis zur Homerschen Literaturvorlage gestattet.
Über die Freiheiten, die sich Petersen und allen voran sein als kommender Star am Drehbuchhimmel gefeierter Autor David Benioff ("25 Stunden"), erlaubt haben, mögen manche Kollegen mit dem Hinweis auf die Verdaulichkeit des mit 162 Minuten ohnehin schon recht langen Films hinwegsehen, für mich sind sie schlicht und ergreifend verantwortungslos. Nimmt man nämlich die Filmgeschichte für bare Münze, so wäre nicht nur Homers antikes Epos ad absurdum geführt, auch vielen klassischen Werken der Weltliteratur wäre nachträglich jegliche Existenzgrundlage entzogen. Stellvertretend für die vielen ’Freiheiten’ des Films sei hier lediglich die verfrühte Tötung Agamemnons durch die trojanische Tempeldienerin Briseis noch während der Eroberung Ilions erwähnt, durch die etwa Aischylos’ Orestie hinfällig wird.
In der Tat, würde man die Lupe der europäischen Literatur über den Film halten, müsste man ihm eine wenig schmeichelhafte Diagnose ausstellen: Selten hat ein monumentales Filmepos mit mehr oder weniger deutlichen Bezügen zu einer bestimmten historischen Vorlage mit einer solchen Gründlichkeit für die Demontage eben derselben und aller daraus abgeleiteter kulturgeschichtlicher Monumente gesorgt.
Es ist freilich nicht mein Ansinnen, Petersen und seinem Team sämtliche Modifizierungen und Umdeutungen an der antiken Grundlage um die Ohren zu schlagen. Davon gibt es schließlich viel zu viele, und außerdem hat sich die Traumfabrik Hollywood niemals als Gralshüterin der okzidentalen Geistesgeschichte gebärdet - das wiederum ist nicht ihr Ansinnen. Vielmehr hat sie sich dem schnellen Profit durch die Produktion moderner Mythen verschrieben - zur Not eben auch um den Preis der Trivialisierung antiker Mythen. Bei Petersens "Troja" wird die Reduzierung des Mythos bis zum Exzess betrieben: der zehnjährige Krieg um Troja wird auf drei Tage und Nächte beschränkt. Die entscheidende Rolle der Götter im Hinblick auf die Vorgeschichte, den Verlauf und den Ausgang des Krieges wird zugunsten einer anthropozentristischen Version ebenso fast vollständig ausgeklammert wie zentrale biographische Informationen zu den Hauptfiguren, die für das Verständnis des Gesamtzusammenhanges eigentlich unerlässlich wären. Statt des gehörnten Menelaos, der im Film schon sehr früh durch die Hände Hektors umkommt, wird Achilles in das Hölzerne Pferd verfrachtet, um genauso wie sein Nebenbuhler Agamemnon während der nächtlichen Einnahme Trojas ums Leben zu kommen, etc.
Wie würden wir aber den Film beurteilen, wenn es uns gelänge, Homer gänzlich beiseite zu schieben, und uns ausschließlich die historisch völlig unbelastete Erwartungsfreude auf überzeugende Darsteller in einem spannend erzählten, eindrucksvoll aufgenommenen und technisch versiert inszenierten Historienepos mit atemberaubenden Actionszenen in den Kinosaal treiben würde. Dass man mit Sandalenfilmen made in Hollywood nicht nur viel Geld, sondern auch den einen oder andern Oscar gewinnen kann, dass also auch unter Bedingungen der Massenkulturindustrie durchaus ansprechende künstlerische Produkte anfallen können, weiß man ja nicht erst seit "Herr der Ringe" oder "Gladiator".
Doch auch wenn man "Troy", wie der englische Originaltitel von Petersens Troja-Verfilmung lautet, die Untreue gegenüber Homer nicht als Fehler vorhalten will, bleibt der Film vieles schuldig. Als Achillesferse erweist sich vor allem das Drehbuch. David Benioffs Bearbeitung bleibt bei weitem hinter dem Original zurück. Die Geschichte nimmt zu keinem Zeitpunkt Fahrt auf, eine richtige Spannung will sich so gar nicht erst einstellen. Die Dialoge kommen viel zu pathetisch daher, erinnern bisweilen an Seifenopern und wirken oft deplaciert. Man tauscht zwar viele Worte aus und macht ebenso viele Ankündigungen, doch vieles bleibt in der Luft und noch mehr an der Oberfläche. Die Dialoge schaffen es einfach nicht, Klarheit in die Geschichte zu bringen, stattdessen sorgen sie viel zu oft für Verwirrung. Insofern vermögen sie auch nicht, den Charakteren Tiefe zu verleihen, auffallend ist vielmehr deren fortwährende Ruhelosigkeit und Launenhaftigkeit.
Insbesondere Achilles (Brad Pitt) gebärdet sich fast den ganzen Film hindurch wie eine ’launische Diva’. An seiner schauspielerischen Leistung ist freilich nicht viel auszusetzen. Das, was er spielen soll, spielt er durchaus überzeugend. Für seine in dieser Häufigkeit wirklich ärgerlichen Stimmungsschwankungen sind das schwache Drehbuch und sicherlich auch so manche unglückliche Regieanweisung verantwortlich.
Schlecht entwickelt ist auch die Figur des Agamemnon (Brian Cox): Ein skrupelloser Machtmensch mit vielen Schwächen und wenig Intelligenz. Insofern vermag er uns nie davon zu überzeugen, dass er derjenige charismatische Führer ist, der die Einigung der griechischen Königreiche vollbracht hat.
Widersprüche stechen auch bei der Figur des Paris (Orlando Bloom) ins Auge. Zumeist kommt er einem als Kleinkind vor, das die Schaufensterscheibe eingeschlagen hat und dann wimmernd an seinem Daumen lutscht. Als leidenschaftlicher Liebhaber der schönen Helena (Diane Kruger) hat ihm das Drehbuch freilich auch einige Szenen vorgeschrieben, in denen er sich als Held austoben darf. Auch wenn Orlando Bloom eine Glanzrolle hingelegt hätte, was er beileibe nicht tat, wäre diese Figur nicht zu retten gewesen.
Die einzigen, die beim Untergang von "Troja" einigermaßen glimpflich wegkommen, sind Priamos (Peter O’Toole) und Hektor (Eric Bana). Der Erstere hat uns einmal mehr die Bandbreite der Darstellungskunst der alten Schule vor Augen geführt. Die Szene, in der er von Achilles den Leichnam Hektors zurückverlangt, ist bei weitem die interessanteste des Films. Der ehrwürdige König Priamos wird von Peter O’Toole ("Lawrence von Arabien") hervorragend verkörpert. Dasselbe gelingt auch Eric Bana als Hektor. Einzig diese beiden Charaktere - mit Abstrichen vielleicht auch Odysseus (Sean Bean) und Andromache (Saffron Burrows) - kommen der Vorstellung einigermaßen nahe, die jemand von den entsprechenden Charakteren aus Homers Heldentragödie haben könnte.
Selbst die Actionszenen bieten im Prinzip nichts Außergewöhnliches. Sicher, die vielen Massenschlachten und Zweikämpfe des Films sind routiniert und spektakulär in Szene gesetzt, in Anbetracht des immensen Budgets muss man dies jedoch als Selbstverständlichkeit verbuchen. In technischer Hinsicht ist "Troja" ansprechend inszeniert und ohne nennenswerte Fehler. Auch stilistisch hat Wolfgang Petersen einen größtenteils sehenswerten Film mit schönen Bildern und gelungenen Effekten gedreht. Das alles kann allerdings nicht über die Schwächen im Umgang mit der Geschichte hinweg täuschen. Das schwache Drehbuch und die pathetischen Dialoge sorgen von vornherein dafür, dass der Film auf einem niedrigen Niveau verharrt.
Bedenklich stimmt schließlich auch der Umstand, dass die Griechen bisweilen als Barbaren dargestellt werden, während den Trojanern mit ihrer Hochkultur und ihrer schönen Stadt die Rolle der Zivilisierten zugewiesen ist. Diese Trennung entspricht freilich weder der historischen Realität (die ohnehin umstritten ist) noch ist sie im Sinne Homers, in dessen literarischer Welt Griechen wie Trojaner demselben Kulturkreis angehören.
Eins ist sicher: "Troja" wird im nächsten Jahr nicht auf Oskar-Jagd gehen. Genauso wenig ist davon auszugehen, dass der Film als Pflichtprogramm in den schulischen Lehrplan aufgenommen werden wird, dafür fällt die Verfremdung von der antiken Vorlage viel zu deutlich aus. Den Anspruch, aus einer antiken Tragödie ein Popcorn-Movie zu machen, konnte Wolfgang Petersen allerdings halbwegs einlösen - gleichwohl selbst der Unterhaltungswert des Films nicht sehr hoch ist.
Ein weiteres Ziel wird Petersens Mammutfilm sehr wahrscheinlich erreichen. Die Hypothek von fast 200 Millionen Dollar Herstellungskosten ist zwar geradezu erdrückend. Die sage und schreibe 16.000 Kopien, die seit einem guten Monat über die Leinwände auf dem ganzen Globus flimmern, sind allerdings auf dem besten Weg, das investierte Geld wieder einzuspielen. Und vielleicht nimmt ja der eine oder die andere den Film tatsächlich zum Anlass, die Bücher Homers wieder aus dem Regal zu ziehen, sie abzustauben und ein wenig darin herum zu blättern.
Den Film gibt es als DVD.

Troy - Troja, USA 2004, 162 min.
Regie: Wolfgang Petersen
Drehbuch: David Benioff
Kamera: Roger Pratt
Schnitt: Peter Honess
Musik: James Horner
Darsteller: Brad Pitt, Eric Bana, Orlando Bloom, Diane Kruger, Peter O’Toole, Brian Cox, Julie Christie u.a. Verleih: Warner Bros.